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Mobirise

2001

Mobirise

Dresdener Schloss, "Erworben"
Beteiligung

Leipzig, Innenstadt
"Temporäre Gärten"
Beteiligung mit "Gefährliche Anlage", Installation

Mobirise

Messehof, Leipzig
"Sie rühren an den Schlaf der Welt –
10 Jahre solitaire FACTORY"

Sie rühren an den Schlaf der Welt

Im September 2001 eröffnete im damals noch unsanierten Messehof in der Leipziger Innenstadt die umfangreichste Einzelausstellung, die Leipzig außerhalb eines Museums je erlebt hatte. Die Künstlergruppe solitaire factory zeigte Arbeiten aus zehn Jahren ihres Bestehens. Der überwiegende Teil ihrer vielen Projekte war der Leipziger Kunstszene nur vom Hörensagen oder gar nicht bekannt. Die Ausstellung hieß selbstbewusst „Sie rühren an den Schlaf der Welt“ und sollte für die Gruppe ein wichtiges Ereignis werden. Die Vorbereitung war ein Kraftakt sondergleichen, immerhin galt es über 1500 Quadratmeter zu bespielen. Die Eröffnung war gleichzeitig die Party des Galerienrundgangs, der sich in dieser Zeit noch über die ganze Stadt verteilte. Über 700 Besucherinnen und Besucher waren am ersten Tag anwesend, die Reaktionen waren überdurchschnittlich gut, sogar Verkäufe bahnten sich an. Die Presse berichtete positiv, alles lief zunächst besser als erwartet.

„Schönheit gibt‘s nur im Kampf. Wer hätte gedacht, dass Walter Ulbrichts markiges Wort noch einmal für einen ersten Satz taugen könnte*. Wahrscheinlich aber ahnten es die Jungs von Solitaire Factory immer. Schließlich haben sie in weiser Voraussicht auch die Mao-Bibel nicht entsorgt und daraus die ‚8 großen Thesen zur Verbesserung der Lage der Deutschen‘ (1997) abgeleitet. ‚Je mehr ihr studiert, desto dümmer werdet ihr‘, liest man da über die Zukunft der Bildung. Wer wollte bestreiten, dass es sich um den Kernsatz der Fun-Gesellschaft handelt?
Solitaire Factory gibt‘s seit 1991. Die Akteure Carsten Busse, Thomas Wauer, Fritz Selbmann haben eine eigene Vorgeschichte, die zu erzählen sich schon lohnte, weil sich in den biografischen Daten so viel subversives Potential verbirgt, dass daraus nur aktiver Anarchismus oder Kunst entstehen konnte. Wie man jetzt bei der Retrospektive der drei Autodidakten sieht, muss das eine das andere nicht ausschließen. Im Gegenteil: Sie treten den zeitgenössischen Beweis an, dass Kunst noch immer – und mit Sinn – unter die Gürtellinie der saturierten Gesellschaft zielen kann.
Das Geheimnis der Solitaire Factory besteht in der genialen Verwurstung jeglichen Kulturguts. Geschichte ist ihnen nicht heilig und die Parolen, die Massen früher wie heute mobilisieren sollen, nutzen ihnen immer wieder zur Entlarvung von Verdummungsmaskeraden. Schlussendlich laufen ihre Kunstaktionen – inzwischen weit über 70 – auf die Erkenntnis heraus, dass man mit jeder beliebigen Ideologie alles erklären kann.
Der erstaunte Betrachter ist sofort bereit, zu glauben, dass die Geschichte des 20. Jahrhunderts anders verlaufen wäre, hätte man nur auf El Lissitzky gehört und Minigolf als Volkssport eingeführt. (‚Der Irrtum des Robert Havemann, 1996). Derartige Verblüffung funktioniert aber nur, wenn der Blick auf die Knackpunkte der Geschichte seht exakt ist. Solitaire Factory hat ein Händchen dafür. So wird von Adenauer kolportiert, dass er bei der Überquerung des Rheins bei Deutz die Zugvorhänge zuzog – weil hier der Bolschewismus beginne. Prompt hat Solitaire Factory auf der Brücke von Remagen einen roten Stern installiert (Verborgene Orte, 1999).
Solche und andere Aktionen kommen aber nie kopflastig daher. Solitaire Factory verfügt über eine solide Erdung, nimmt sich selbst und den ganzen Kunstrummel nicht ernster als nötig, ohne je fahrlässig zu sein. Humor ist, wenn der Künstler sich trotzdem ein Ohr abschneidet. In Leipzig sind sie schon lange Stars, auch andernorts wird sich die Erkenntnis durchsetzen, die sie in aller Bescheidenheit zum Motto ihrer Schau gemacht haben: Sie rühren an den Schlaf der Welt.“
Dr. Peter Guth, Leipziger Volkszeitung, 2001

An der Aussage, dass die factory-Künstler in Leipzig Stars seien, war tatsächlich etwas dran. Allerdings hatte dies wohl viel mit ihrer persönlichen Präsenz in der Stadt zu tun. Die konzeptuelle und aktionistische Kunst der Gruppe wurde in der traditionell von Malerei dominierten (und hinsichtlich der Kunstproduktion leider oft humorfreien) Kunstszene Leipzigs lange Zeit eher misstrauisch und abschätzig betrachtet. Erst die Ausstellungserfolge anderswo führten im Laufe der Jahre zu einer Akzeptanz, die über den eigenen Fanclub hinaus reichte.
Gleichwohl blieb der soliaire factory ein kommerzieller Erfolg, der für die drei Protagonisten ein Leben von ihrer künstlerischen Arbeit ermöglicht hätte, versagt. Die Produktion der factory war allerdings von Anfang an auch schwierig zu vermarkten. Ihre Projekte waren meist temporärer Natur, orientierten sich an den gesellschaftlichen Kontexten und den Lebensumständen ihrer Entstehungszeit. Das Provisorische, das Unedle, sich jeder Musealisierung verweigernde, gehörte ebenso zum künstlerischen Konzept der Gruppe wie ein absoluter Gegenwartsbezug. Im Fokus der Arbeit der factory stand stets die Produktion, für erfolgreiche Vermarktungsstrategien blieb dabei wenig Zeit – und es mangelte zugegebener Weise auch definitiv am marktwirtschaftlichen Denken. Einnahmen wurden sofort in neue Projekte gesteckt, zum Überleben mussten – wie bei den meisten Künstlerinnen und Künstlern – zeit- und kraftraubende Jobs angenommen werden.
Die Ausstellung „Sie rühren an den Schlaf der Welt“ sollte als große umfassende 10-Jahres-Retrospektive helfen, diesen Zustand zumindest teilweise zu verändern. Es kam anders. Nach einem vielversprechenden Start sorgten die Ereignisse des 11. September 2001 dafür, dass die ganze Welt bis zum Ende der Ausstellung vor den Fernsehgeräten saß.
Die Hoffnung auf eine größere Wertschätzung in der eigenen Stadt war erfüllt worden, Kontakte zum Kunstmarkt oder den wichtigen Institutionen intensivierten sich indes nicht. Obwohl solitaire factory regelrechte Fans in der Stadt hatte und hat, schaffte es nur eine einzige Arbeit der Künstlergruppe in eine der öffentlichen Leipziger Sammlungen.